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Wandern als Selbstfindung: Schritte zur inneren Ruhe

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Der erste Schritt ist immer der schwerste. Nicht, weil der Weg steil wäre oder die Ausrüstung fehlte. Sondern weil er bedeutet, das Handy stumm zu schalten, die To-Do-Liste zu ignorieren und für ein paar Stunden bewusst nirgendwo anders sein zu wollen als genau dort, wo die eigenen Füße gerade stehen.

Wandern ist zu einer Modeerscheinung geworden.

Instagram zeigt uns perfekt inszenierte Gipfelfotos, Outdoor-Magazine preisen die neueste Funktionskleidung an, und Wellness-Coaches verkaufen uns das Gehen als Allheilmittel für moderne Neurosen.

Dabei übersehen sie das Wesentliche: Wandern ist keine Aktivität, die man optimiert – es ist eine Haltung, die man entwickelt.

Der Rhythmus des Gehens

Es gibt einen Moment, meist nach der ersten halben Stunde, in dem sich etwas verändert.

Die Gedanken, die anfangs noch wie Ping-Pong-Bälle zwischen Terminkalender und Sorgen hin und her springen, beginnen langsamer zu werden. Der Rhythmus der Schritte übernimmt die Führung. Links, rechts, atmen. Links, rechts, atmen.

Dieser Rhythmus ist uralt.

Unsere Vorfahren sind Tausende von Kilometern gelaufen, lange bevor sie Räder erfanden oder Pferde zähmten. In unseren Genen steckt noch das Wissen um die meditative Kraft des Gehens. Jeder Schritt ist ein kleiner Akt der Besinnung, jeder Atemzug eine Erinnerung daran, dass wir mehr sind als unsere täglichen Verpflichtungen.

Das Schöne am Wandern ist seine demokratische Natur. Es braucht keine besondere Begabung, keine teure Ausrüstung, keine Mitgliedschaft.

Ein Paar feste Schuhe, vielleicht eine Wasserflasche, und schon kann es losgehen. Der Berg fragt nicht nach deinem Kontostand oder deiner Position im Unternehmen. Er nimmt jeden, der bereit ist, Schritt für Schritt voranzugehen.

Die Kunst des Langsamseins

Wandern lehrt Geduld auf eine Weise, die kein Seminar vermitteln kann.

Der Gipfel kommt nicht schneller, nur weil du dich ärgerst. Der Weg wird nicht kürzer, nur weil du ungeduldig bist. Du lernst, dass Ankunft nicht das Ziel ist, sondern dass der Weg selbst das Ziel ist.

Diese Erkenntnis überträgt sich auf andere Lebensbereiche.

Wer gelernt hat, dass man einen Berg nur Schritt für Schritt bezwingt, versteht auch, dass sich komplexe Probleme nur durch beharrliche, geduldige Arbeit lösen lassen.

Wandern ist angewandte Lebensphilosophie – ohne Powerpoint-Präsentation, ohne Coaching-Jargon, nur mit der schlichten Wahrheit eines Fußes vor dem anderen.

Dabei geht es nicht um sportliche Höchstleistungen. Der 80-jährige mit seinem Nordic-Walking-Stöcken, der gemächlich den Waldweg entlanggeht, praktiziert dieselbe Meditation wie der Bergsteiger, der sich durch schwieriges Gelände kämpft.

Geschwindigkeit ist irrelevant. Wichtig ist die Bereitschaft, sich auf den Prozess einzulassen.

Stille finden in einer lauten Welt

Draußen in der Natur gibt es eine andere Art von Stille.

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Nicht die sterile Ruhe schalldichter Räume, sondern eine lebendige Stille, gefüllt mit Vogelstimmen, raschelnden Blättern, dem eigenen Herzschlag. Diese Stille ist nicht leer – sie ist voll von dem, was wirklich wichtig ist.

Viele Menschen haben Angst vor der Stille, weil sie glauben, dann mit ihren Gedanken allein zu sein.

Beim Wandern lernt man, dass Alleinsein etwas anderes ist als Einsamkeit.

Man ist allein mit sich, aber nicht verlassen. Man ist verbunden mit etwas Größerem – mit der Landschaft, mit dem Himmel, mit dem uralten Rhythmus des Gehens.

Die Natur urteilt nicht. Sie bewertet deine Leistung nicht, sie vergleicht dich nicht mit anderen, sie stellt keine Ansprüche. Sie ist einfach da, verlässlich und geduldig. Das ist heilsam für Menschen, die gewöhnt sind, permanent bewertet und gemessen zu werden.

Kleine Schritte, große Wirkung

Wandern verändert die Wahrnehmung von Zeit. Stunden können wie Minuten vergehen, aber gleichzeitig dehnt sich jeder Moment.

Du bemerkst Dinge, die dir sonst entgehen: die Art, wie sich Licht durch Baumkronen filtert, wie sich der Boden unter den Füßen anfühlt, wie sich die Luft mit der Höhe verändert.

Diese geschärfte Aufmerksamkeit ist ein Geschenk, das über die Wanderung hinausreicht.

Wer gelernt hat, die Schönheit eines bemoosten Steins zu sehen, wird auch im Alltag wacher durchs Leben gehen. Wer gespürt hat, wie befreiend es ist, für ein paar Stunden keine Nachrichten zu empfangen, wird bewusster mit seinem Medienkonsum umgehen.

Das Wandern lehrt auch Demut.

Vor dem Wetter, vor der eigenen körperlichen Begrenztheit, vor der Unberechenbarkeit der Natur. Diese Demut ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Weisheit. Sie erinnert daran, dass wir Teil von etwas sind, das größer ist als wir selbst.

Der Weg nach innen

Am Ende geht es beim Wandern nicht darum, Berge zu erobern oder Rekorde zu brechen. Es geht darum, zu sich selbst zu finden.

Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug. Es geht darum, wieder zu lernen, was Ruhe bedeutet, was Besinnung ist, was es heißt, ganz bei sich zu sein.

Die innere Ruhe, die das Wandern schenkt, ist nicht käuflich.

Sie lässt sich nicht in einer App herunterladen oder in einem Wochenendkurs erlernen. Sie entsteht durch Wiederholung, durch Geduld, durch die Bereitschaft, einen Fuß vor den anderen zu setzen und zu vertrauen, dass der Weg einen trägt.

Vielleicht ist das der wichtigste Grund zu wandern: um zu verstehen, dass die besten Dinge im Leben einfach sind. Ein Schritt. Ein Atemzug. Ein Moment der Stille. Und die Gewissheit, dass man alles hat, was man braucht, um weiterzugehen.

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